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Nein heißt Nein. Wirklich? Was ist Vergewaltigung §177 StGB, §184j StGB
20.11.2017 15:32

Was ist Vergewaltigung? – „Nein heißt Nein“ etc. , 177 StGB

Neuerungen des Strafrechts in Deutschland , Stand November 2017 – Von Jochen Fahlenkamp, Rechtsanwalt, Kanzlei für Strafrecht in Berlin www.anwaltfahlenkamp.de

 


1. Wie alles anfing


 

Es fing -zumindest für die meisten Normalbürger-  an zu Sylvester 2015/2016. Sogenannte „Nordafrikaner“, eine schönfärberische Sprachschöpfung der Medien, bzw. vor Ort tätiger Polizeikräfte, traten als mutmaßliche sexuelle  Belästiger von weiblichen Partygängern im Umfeld diverser Bahnhofsvorplätze in Deutschland in Erscheinung. (Das Phänomen hat einen eigenen Wikipedia-Artikel, https://de.wikipedia.org/wiki/Sexuelle_%C3%9Cbergriffe_in_der_Silvesternacht_2015/16 )

 

Politiker, wie z.B. Olaf Scholz (Hamburg) und Henriette Reker (Köln), forderten daraufhin Reaktionen der Politik. Bereits vor den Vorfällen gab es aber die politische Diskussion bezüglich des Sexualstrafrechts, insbesondere zu der Frage, ab wann bei  Übergriffen die strafrechtliche Relevanz beginnen sollte.

 


2. Reaktion des Gesetzgebers


 

Nach den Bahnhofsvorplatzereignissen wurde der seinerzeit in Arbeit befindliche Entwurf  zur Verbesserung des Sexualstrafrechts im Laufe des Jahres 2016 verschärfend modifiziert, was medial rege kommentiert und zum Teil als großer Fortschritt bejubelt wurde.

Begriffe wie „sexuelle Belästigung“(§ 184i StGB), „sexueller Übergriff“(§177 I, II StGB) und „der erkennbare Wille“ potentieller Tatopfer (§ 177 I StGB), letzterer als Maßstab für den Beginn der Rechtswidrigkeit eines Übergriffs, wurden in die Gesetzesbestimmungen eingefügt. Dies wurde der Bevölkerung von Medien und Politik unter dem populärjuristischen Schlagwort „Nein heißt Nein“ vermittelt, ein Schlagwort, das ähnlich einem Mantra die Kommentierung des Gesetzgebungsverfahrens beherrschte, während Juristen - in der ihnen eigenen Neigung zur Verklausulierung  - von der „Nichteinverständnislösung“ sprachen.


3. Bedeutung der Gesetzesänderung


 


a)§ 177  StGB regelt nunmehr, dass bereits eine sexuelle Handlung, die „gegen den erkennbaren Willen“ des Anderen stattfindet, rechtswidrig  und mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu 5 Jahren zu bestrafen sei (in Kraft seit November 2016), auch wenn keine Gewalt oder Drohung im Spiel ist. Das ist, kann man umgangssprachlich sagen, „heftig“, und bezogen auf die Lebenswirklichkeit schwierig, da gerade beim Liebeswerben sexuell unerfahrener Junger Menschen, z.B. pubertierender Jugendlicher, das  anschließende Dulden von Sex  durch sich zunächst zierende, und verschämt „Nein“ sagende   Gegenüber als Einverständnis gewertet wird. Kann ein Jugendlicher, der erste erotische Erfahrungen sammelt, anhand eines eventuell schwach gehauchten „Nein!“ erkennen, dass tatsächlich ein verbindlicher entgegenstehender Wille vorliegt, bzw. vorlag, noch dazu, wenn sich der andere Part anschließend scheinbar genießend hingegeben hat?


 

Auf jeden Fall ist ein Anstieg der Ermittlungsverfahren zu erwarten und sexuell aktive Personen, die gewohnheitsgemäß im Disco- und Kneipenmilieu  zugedröhnte Sexualpartner  abschleppen (ein Großteil derjenigen, die Ermittlungsverfahren auf sich ziehen!), sollten auf der Hut sein, dass sie sich nicht ihre Zukunft durch eine Verurteilung wegen nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs versauen.

Kritik:

Die ursprünglich nur wenige Zeilen umfassende Vorschrift betreffend die  sexuelle Nötigung und Vergewaltigung, §177 StGB,  wurde in der Neuregelung zu einer  „unendlichen Geschichte“  aufgebläht, einem nunmehr neun Absätze mit insgesamt 17 Unterziffern umfassenden Paragraphenbandwurm, der kaum auf eine Din A 4 – Seite passt, da er nunmehr ca. 40 Zeilen hat. – Thomas Mann wäre vielleicht stolz auf die Redakteure gewesen, auch wenn er vermutlich nicht verstanden hätte, weshalb er zwischen sechs Monaten und 5 Jahren  ins Gefängnis sollte, wenn z.B. er mit seiner eigenen  Ehefrau schliefe, nachdem diese zu ihm gesagt haben würde „ nein Puckelchen, heute nicht, ich habe Kopfschmerzen!“, aber sie ihn dann im Verlaufe der gemeinsamen Nachtruhe dennoch ohne weiteren Kommentar rangelassen hätte. Vielleicht hätte er rechtlichen Verwerfungen dadurch vorgebeugt, dass er sich im notariellen Ehevertrag von seiner Gattin hätte attestieren lassen, dass das Schweigen der Ehefrau während des eigentlichen  Geschlechtsaktes, ungeachtet  früherer, vor dem Zubettgehen getätigter Äußerungen, als ihre Zustimmungserklärung (Widerruf natürlich vorbehalten!)  anzusehen sei.– Dass eine solche Wertung des Verhaltens der „anderen Seite“ auch ohne Notarvertrag denkbar ist, ist der Grund dafür, daß zahlreiche Juristen, Kriminologen und Rechtshüter von der harten  Front des alltäglichen gesellschaftlichen Lebens bereits vor Inkrafttreten der Gesetzesneuerung davor gewarnt hatten, in diese Neuregelung  allzu große Erwartungen zu setzen. Das Problem ist nämlich nicht, die sittliche Verwerflichkeit,  und die daraus folgende Strafbarkeit, vom fehlenden Konsens abhängig zu machen, sondern dem mutmaßlichen Delinquenten nachzuweisen, dass er sich bewusst über einen fehlenden Konsens hinweggesetzt hat, obwohl er weder Gewalt noch Drohung anwendete. Gewalt oder Drohung sind nämlich recht praktische Indizien, um nicht zu sagen Beweise, dafür gewesen, dass beim gegenüber kein Konsens vorlag und der Täter dies auch wusste. Schon vor der Gesetzesänderung  war es oft die schwer zu beantwortende Frage, ob und wann der/die Andere überhaupt  ausreichend deutlich gemacht hat, dass er/sie das konkret stattgefundene Geschehen  nicht gewollt hat. Denn wir haben es ja mit einer Vorsatzstraftat zu tun. Eine fahrlässige Vergewaltigung (bzw. einen fahrlässigen sexuellen Übergriff) kennt das deutsche Strafrecht nicht. – Es kommt daher nicht darauf an, ob ein Psychiater bei dem mutmaßlichen Opfer einen entgegenstehenden Willen erkennen könnte, sondern – ganz im Sinne des „Mantras“, welches die politische Debatte beherrschte und Leitmotiv des Gesetzgebers war, kommt es darauf an, ob der/die Andere deutlich genug und unmissverständlich „Nein!“ gesagt hat; es sei denn, es ließe sich beweisen, daß der/die Tatverdächtige aufgrund anderer Informationen wusste, dass das Gegenüber  nicht einverstanden war, was die große Ausnahme sein dürfte. Die Grundvoraussetzung dafür, dass Nein auch Nein heißt, ist also grundsätzlich,  dass Nein gesagt wird, und auch in einer Weise und einem Kontext,  die unmissverständlich  als Nein im Sinne eines  akut entgegenstehenden Willens zu verstehen sind. Oder, um es mit den Worten unserer  Richter zu sagen, die man als Strafverteidiger hin und wieder hört: „Entscheidend ist nicht, was der Zeuge gesagt hat, sondern was er (mit dem Gesagten) gemeint hat.“  Und das zu erhellen, war und ist im Einzelfall schwierig. Nicht nur in der Beweisaufnahme vor Gericht, sondern auch bezüglich der Kommunikation zwischen  zwei potentiellen Sexualpartnern. Und  ob ein gesagtes Nein auch „Nein!“  hieß, entscheidet am Ende das Gericht. In jedem Einzelfall gesondert.

Fazit: Neues Gesetz, altes Problem.


b) Den ohnehin bereits schwanzlastigen § 184 StGB  hat der Gesetzgeber ebenfalls weiter expandiert und um  zusätzliche „Wurmfortsätze“ erweitert. Es gibt jetzt auch einen § 184 i und  j . - Hoffentlich reicht das Alphabet für weitere Anhänge künftiger Jahre…


 

aa) § 184 i, die sexuelle Belästigung, ist nicht viel mehr als eine strukturelle Angleichung des Gesetzes an die Rechtsprechungspraxis. Es war nämlich auch schon bisher strafbar, andere Leute sexuell zu belästigen, auch wenn dafür Regelungen, wie der Beleidigungsparagraph herhalten mussten.

bb) § 184 j hingegen, Beteiligung an Personengruppen, die Straftaten begehen,  wurde von vielen Juristen als eine rechtsstaatlich bedenkliche Regelung angesehen; wegen Infragestellung des alten rechtsstaatlichen Prinzips „Keine Strafe ohne Schuld“.

Ob diese Regelung Bestand haben kann, bzw. in der Rechtspraxis Bedeutung erlangen wird, ist zweifelhaft, da das deutsche Strafrecht aus vorgenanntem rechtsstaatlichem Grundsatz heraus keine Sippenhaftung kennt. Wenn Gerichte die Regelung anwenden wollen, werden sie das Gesetz zwangsläufig verfassungskonform auslegen müssen, mit der Folge, dass im Ergebnis nur derjenige  Teilnehmer eines Menschenauflaufs bestraft werden kann,  der zumindest wusste, dass Andere in der Absicht zur Begehung von Straftaten an einem Dritten teilnahmen. Denn wer nicht weiß, dass andere Teilnehmer der „Personengruppe“ Straftaten an Dritten begehen, handelt nicht vorwerfbar, wenn er sich an der Gruppe beteiligt.

Dies zeigt zugleich die Überflüssigkeit der Regelung, denn wer sich zu einem Menschenauflauf zusammenrottet, wohl wissend, dass der Zweck der Zusammenrottung  ist, Einzelnen in der Gruppe die Gelegenheit zu verschaffen,  Dritte zu  überfallen, wird meist ohnehin  als Mittäter oder Gehilfe der Haupttäter  zur Verantwortung  gezogen.

Die Regelung scheint somit eher eine rein kosmetische, weil verfassungsrechtlich nur eingeschränkt realisierbare Maßnahme des Gesetzgebers zu sein, um der Stimmung bestimmter Kreise der Bevölkerung gerecht zu werden. Ihr Standort im Gesetz als beispiellose und bislang  letztstellige Dunkelziffer indiziert den Wert ihrer wirklichen Bedeutung.

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